Behinderungsbedingte Mehrkosten einer Urlaubsreise (Kreuzfahrt)

Fachinformation - geschrieben am 10.10.2024 - 10:44

Behin­derte Men­schen bekommen Rei­se­kosten für Assis­tenz erstattet

Reisekosten treffen jeden Urlauber – aber nur behinderte Menschen sind auf die Begleitung einer Assistenz angewiesen. Deren Reisekosten können sie vom Staat erstattet bekommen, so das BSG. Zumindest, wenn sie nicht vermeidbar waren (vgl. Urteil des BSG  v. 19.05.2022, Az. B 8 SO 13/20 R).

Parteien des vom BSG entschiedenen Verfahrens waren der auf einen Rollstuhl angewiesene behinderte Kläger und der Landkreis Leipzig als Träger der Sozialhilfe (Beklagter). Der Kläger lebt in einer eigenen Wohnung. Er wird rund um die Uhr von drei Assistenten im Arbeitgebermodell gepflegt und betreut. Die Kosten hierfür trägt der Beklagte im Rahmen einer bewilligten Eingliederungshilfe. Der Kläger bezieht eine Rente wegen voller Erwerbsminderung, Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach SGB XII, Leistungen der sozialen Pflegeversicherung sowie Leistungen der Hilfe zur Pflege. Seinen Antrag  auf Übernahme der Reisekosten einer Begleitperson für eine Kreuzfahrt mit zwei Landausflügen für den Zeitraum vom 2.7.2016 bis 9.7.2016 in Höhe von 2015,50 Euro lehnte der Beklagte ab.

Im Einzelnen.

Im Juli 2016 unternahm der Kläger eine siebentägige Nordseereise auf einem Kreuzfahrtschiff mit zwei Landausflügen. Hierzu nahm er einen der Versorgungsassistenten als Begleitperson mit. Alleine wäre er nach seiner Darstellung auf dem Schiff nicht zurechtgekommen. Die Begleitperson habe er für verschiedene Verrichtungen, u.a. auch als Hilfestellung bei den Landgängen, benötigt.

Der Kläger trug die für seine Person entstandenen Reisekosten selbst. Für die für den Assistenten entstandenen Reisekosten in Höhe von etwas mehr als 2.000 Euro forderte er Erstattung von dem beklagten Landkreis als Träger der Eingliederungshilfe. Da der Landkreis die Kostenübernahme ablehnte, zog der Kläger vor das Sozialgericht.

Das SG und in zweiter Instanz auch das LSG wiesen die Klage ab. Grundsätzlich können nach gefestigter Rechtsprechung Kosten für eine Reise im Rahmen der Eingliederungshilfe erstattet werden, wenn

  • die Reise der Teilhabe am gemeinschaftlichen und kulturellen Leben der behinderten Person dient,
  • hierdurch die Folgen der Behinderung gemindert werden,
  • der Urlaub zur Wiedereingliederung des behinderten Menschen in die Gesellschaft beiträgt (Unterscheidung Urlaub und Assistenzen zur Ermöglichung des Urlaubs) und
  • die Begegnung mit nicht behinderten Menschen fördert.

Diese Voraussetzungen waren nach Auffassung von SG und LSG im konkreten Fall nicht erfüllt. Die vom Kläger gebuchte Reise habe dem allgemeinen Zweck seiner Erholung und dem Reiseerlebnis einer Kreuzfahrt, aber nicht in erster Linie Wiedereingliederungszwecken gedient. Damit seien die Voraussetzungen für einen Erstattungsanspruch nicht gegeben.

Das BSG betätigte zunächst die grundsätzlichen Erwägungen der Vorinstanzen zu Sinn und Zweck einer Eingliederungshilfe. Auch der Senat vertrat die Auffassung, dass das allgemeine Urlaubsbedürfnis des Klägers nicht eine spezifische Folge seiner Behinderung war, sondern das grundsätzliche Bedürfnis nach Erholung bei behinderten und nicht behinderten Menschen grundsätzlich in gleicher Weise entsteht. Die Befriedigung des allgemeinen Erholungsbedürfnisses sei kein typischer Gegenstand einer Wiedereingliederung, die hierdurch entstehenden Kosten seien daher grundsätzlich kein Bestandteil der Eingliederungshilfe.

Nach der Entscheidung des Senats hatten die Vorinstanzen allerdings nicht hinreichend gewürdigt, dass der Kläger hier nicht den Ersatz seiner eigenen Reisekosten fordert. Der Kläger fordere die behinderungsbedingten Mehrkosten für eine Begleitperson. Mit diesen Mehrkosten sei der Kläger allein infolge seiner Behinderung konfrontiert. Das nachvollziehbare Teilhabebedürfnis in Form der Durchführung einer Erholungsreise habe der Kläger nach seiner Darstellung ohne Begleitung nicht befriedigen können. Eine einwöchige Urlaubsreise einmal im Jahr – ggflls. in Begleitung - sei absolut angemessen und gehe nicht über die Bedürfnisse eines nicht behinderten und nicht sozialhilfeberechtigten Erwachsenen hinaus.

Das BSG führte aus:

"...Zwar könnten die Urlaubskosten für den behinderten Menschen nicht als Leistung der Eingliederungshilfe angesehen werden, schließlich entstünden die Kosten auch bei nicht behinderten Urlaubern. Die brauchen aber keine Begleitperson. Die Kosten für Begleitung entstünden dabei nur behinderten Menschen - und zwar allein aufgrund ihrer Behinderung. Außerdem sei der Wunsch eines behinderten Menschen, sich jährlich einmal auf eine einwöchige Urlaubsreise zu begeben, im Grundsatz angemessen..."

Damit stelle sich allerdings die Frage, ob die Buchung einer Reise mit Begleitperson tatsächlich erforderlich gewesen ist, um dem berechtigten Erholungsbedürfnis des Klägers Rechnung zu tragen. Nur wenn diese Mehrkosten nicht vermeidbar gewesen seien, seien sie im Rahmen der Eingliederungshilfe als Bestandteil der Sozialhilfe erstattungsfähig. Insbesondere sei zu klären, ob das Teilhabebedürfnis des Klägers durch Buchung einer gleichartigen Reise bei einem anderen Anbieter auch ohne Begleitperson oder zumindest mit geringeren, behinderungsbedingten Mehrkosten möglich gewesen wäre.

Vor diesem Hintergrund hob das BSG die vorinstanzliche Entscheidung des LSG auf und verwies das Verfahren zur weiteren Klärung der noch offenen Sachfragen an die Vorinstanz zurück

Wichtig:

Das BSG stellte klar: Entscheidend ist nicht, ob die Aktivität selbst Zielen der Eingliederungshilfe dient, sondern ob sie ein Bedürfnis befriedigt, das gesellschaftlicher Normalität entspricht. Das bringt das BSG durch den Vergleich mit anderen, nicht behinderten und nicht sozialhilfebedürftigen Erwachsenen zum Ausdruck. Die Entscheidung konkretisiert damit die normative Dimension des Bedarfs, die durch den Grundsatz der gleichberechtigten Teilhabe mit anderen, den die UN-Behindertenrechtskonvention vorgibt, bestimmt wird. Damit wird zugleich ein grundlegendes Missverständnis der Aufgabe der Eingliederungshilfe, das den Entscheidungen der Instanzgerichte zugrunde lag, korrigiert. Diese waren der Auffassung, dass die Aktivitäten, in deren Zusammenhang der Kläger wegen seiner Behinderung Assistenz benötigt, dazu dienen müssen, die Eingliederung in das soziale Leben zu fördern. Ganz abgesehen davon, dass auch das im Fall einer Urlaubsreise zu bejahen sein sollte, kommt es darauf aber gar nicht an.

Das Urteil finden Sie unter https://www.bsg.bund.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2022/2022_05_19_B_…

 

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